Von der Gründung 1909 bis zum 75 Jahre Jubiläum 1984

Zürcher Regatta Verein

Seit 1909 bis zur Gegenwart

Zürich, eine internationale Hochburg der Banken und Versicherungen, die Stadt Zwinglis, Gottfried Kellers und Conrad Ferdinand Meyers, die Stadt die durch Bürgerfleiss und liberalen Gesellschaftsgeist zur Metropole am Zürichsee und zum Wirtschaftszentrum unseres Landes geworden ist, hat in den letzten 100 Jahren auch in der Welt des Sportes ein Ansehen errungen, das weit über die Grenzen unseres Landes reicht. Und dass der Wassersport in einer Region mit zahlreichen Seen und Flüssen eine besondere Bedeutung erlangt, liegt auf der Hand.

So ist es denn auch keine Überraschung, dass die früheren und heutigen elf Ruderclubs der Stadt seit den sechziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts eine besondere Aktivität an den Tag legten. Seit der Gründung des Schweizer Ruderverbandes ist von den Ruderern unseres Landes die grösste Zahl an Meistertitel nach Zürich vergeben worden. Und an internationalen Meisterschaften hat der Name „Zürich“ einen guten Klang, auch wenn das Erringen von Medaillen mit Beginn der sechziger Jahre immer seltener geworden ist. Bereits 1911 hat der Vierer mit Steuermann von H. Walter, Wirth, P.F. Schmid und T.O. Schmid vom Grasshopper-Club Zürich einen ersten Europameistertitel errudert. Dieses Team hat mit einigen Änderungen in der Mannschaft und ergänzt durch vier weitere Ruderer im Achter bis 1921 neun Europameistertitel errungen. An den Olympischen Spielen in Antwerpen waren es auch H. Walter, M.H Rudolf, W. Brüderlin und P.E. Rudolf, die im Viere mit Steuermann eine Goldmedaille sowie mit Ch. Freuler, A. Türler , B. Baur und R. Bosshard im Achter eine Bronzemedaille gewannen. Von 1922 bis 1927 schrieb dann mir Rudolf Bosshard eine weitere Persönlichkeit aus dem Grasshopper-Club Zürich Rudergeschichte. In diesem Zeitraum sicherte sich Bosshard im Einer und mit H. Thoma und M. Rieder im Doppelzweier insgesamt sechs Europameistertitel sowie 1924 mit H. Thoma an den Olympischen Spielen in Paris eine Bronzemedaille.

Doch auch der andere Grossclub aus Zürich, der bereits 1963 gegründete Seeclub Zürich und älteste Ruderverein der Schweiz überhaupt, erregte mit Max Schmid 1920 durch einen Europameistertitel im Einer und mit Max Pfeiffer und Hans Appenzeller 1932 durch einen solchen im Zweier ohne Steuermann Aufsehen. In dieser Frühgeschichte des internationalen Rudersports sicherte sich sogar 1925 ein Vierer ohne Steuermann, mit Ruderern aus verschieden Zürcher Clubs mit den Farben des Zürcher Regatta Vereins fahrend, einen Europameistertitel.

Mitte der dreissiger Jahre trat dann der FCZ Ruder-Club Zürich mit Karl Schmid, Hermann Betschard, den Brüdern Homberger, Werner Schweizer, O. Neuenschwander und dem Skuller Ernst Rufli ins Rampenlicht. Diese Ruderer wurden 1935 und 1938 Europameister im Viere ohne Steuermann, daneben aber auch mehrmals Henleysieger, ein Erfolg der damals fast noch höher eingestuft wurde als ein Europameistertitel. An den Olympischen Spielen 1936 in Berlin eroberten sich diese Ruderer eine Silbermedaille im Vierer mit Steuermann und eine Bronzemedaille im Zweier ohne Steuermann. Eine Goldmedaille war wohl nur deshalb ausgeblieben, weil diese Ruderer ausserdem noch im Achterfinal ihre Kräfte an einem Tag allzu sehr verzettelt hatten. Ergänzt wurde diese Zürcher Siegesserie des „FCZ“ 1937 durch den Europameistertitel des Skullers Eugen Studach vom Grasshopper-Club Zürich, dem Vater des späteren Weltmeisters Martin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es dann vorerst wieder der Seeclub der 1948 an den Olympischen Spielen in London mit Peter Strebler, Erich Schriever, Emil Knecht und dem heutigen Nationalrat Rudolf Reichling im Vieer mit Steuermann eine Silbermedaille gewann sowie 1951 und 1953 mit Peter Strebler, einmal mit Emil Knecht und das zweite mal mit Erich Schriever im Doppelzweier zwei Europameistertitel sicherte. 1954 holte sich der Senkrechtstarter Alain Colomb vom Aviron Romand Zürich einen Titel im Einer, und dann kam die Zeit für den leider allzu früh verstorbenen Göpf Kottmann vom Belvoir Ruder-Club Zürich, der 1954 und 1955 im Zweier ohne Steuermann mit Rolf Steuli und 1959 im Vierer ohne Steuermann mit Rolf Streuli, Hansruedi Scheller und Emil Hess, dreimal an Europameisterschaften oben aufschwang. 1964, an den Olympischen Spielen in Tokio, erschien der Name Göpf Kottmann durch den Gewinn der Bronzemedaille im Einer zum letzten mal auf einer Siegerliste. Den hoffentlich vorläufigen Reigen schliessen Melch Bürgin und Martin Studach vom Grasshopper-Club Zürich, die 1965 und 1967 Europameister im Doppelzweier wurden und 1966 ihre Karriere mit dem 1962 erstmals geschaffenen Weltmeistertitel krönten. Insgesamt kennt die Rudernation Schweiz 54 Europameister, davon stammen nicht weniger als 29 aus Zürich.

Damit gibt es wohl keine andere Stadt, auch nicht im Ausland, die eine derartige Siegerzahl aufweisen kann. Die zahlreichen Silber- und Bronzemedaillen sowie Finalplätze, die an Welt- und Europameisterschaften herausgerudert wurden, seien nur am Rande vermerkt. Als letztes Boot eroberten aus Zürich Daniel Homberger und Peter Rahn vom Seeclub Zürich zusammen mit zwei Schaffhausern einen Finalplatz im Vierer mit Steuermann an den Olympischen Spielen in Moskau im Jahre 1980, die übrigens zusammen mit zwei Ruderern vom Polytechniker-Ruderclub Zürich, in diesem Jahr höchst umstrittene Weise nicht für die Olympischen Spiele in Los Angeles qualifiziert wurden.

All diese sportlichen Erfolge sin in Zürich nur deshalb möglich geworden, weil eine gesellschaftliche Struktur der politischen und kulturellen Vielfalt eine Entwicklung von Talent und Fleiss für Tausende von Ruderern seit mehr als 100 Jahren ermöglichte. Zürich mit seinen Mittel- und Hochschulen und verschiedenster Berufsplätzen war die Brutstätte dafür, dass Schüler, Lehrlinge und Studenten in die Schule des Ruderns eingeweiht werden und sich ihrer berufliche Laufbahn entfalten konnte. Die Namen der zahlreich, seit Jahrzenten bestehenden ausländischen Studenten Ruderclubs in Zürich liefern den besten Beweis dafür, dass der Sport in Zürich stets ein wirksames Mittel für die Völkerverständigung darstellte.

Die Behörden der Stadt Zürich, die mit den nötigen Verständnis für diese gesunde Leibeserziehung schon seit mehr als hundert Jahren den Ruderern das nötige Areal zur Verfügung stellte, haben sich für den Rudersport in unserer Stadt besonders verdient gemacht. Die Bootshäuser am Mythenquai sind die beste Voraussetzung dafür, dass sich das Rudern in Zürich als Breitensport entwickeln konnte. Die Bootshäuser sind Mittelpunkt des Rudersports und der gesellschaftliche Anlässe der Ruderer geblieben, nachdem der Regatta-Verein die Internationale Ruderregatta auf dem Zürichsee wegen der Wellen der Motorboote und Dampfschiffe nicht mehr durchführen konnte und seit nunmehr fünf Jahren mit wachsendem Aufwand auf dem Greifensee diesen Anlass organisiert, so dass die Herbstregatta als einziger Grossanlass im unteren Seebecken verblieben ist. Wir Zürcher Ruderer hoffen, dass wir die Öffentlichkeit auch in Zukunft das nötige Verständnis für die Ausübung unsere geliebten Sportes finden werden.

 

Zürich, im September 1984

Hansjürg Saager

Präsident Zürcher Regatta-Verein

 

Wie alles begonnen hat…

 

Jede Geschichte hat ihre Vorgeschichte – diese Binsenwahrheit gilt auch für den Zürcher Regatta-Verein, der heuer, 1984, sein 75jähriges Bestehen feiern kann. Bevor der “Dachverband” der Stadtzürcher Rudervereine gegründet werden konnte, musste ja überhaupt erst gerudert werden in Zürich, musste sich diese Sportart in die Breite entwickelt haben, musste das Bedürfnis nach einem starken Träger für die Wettkampftätigkeit entstanden sein.

 

Wenn man den Anfängen des Rudersports in Zürich nachspürt, stösst man unweigerlich auf jene sagenhafte Begegnung der vier namenlosen einheimischen Metzgerburschen und der zwei ebenso unbekannten in Zürich studierenden englischen Sportsmen. Auch wir wollen diesen sechs Pionieren des sportlichen Ruderns auf dem Zürcher Seebecken, diesen Initianten, Veranstaltern und Teilnehmern in Personalunion des allerersten internationalen Ruderwettkampfs, die ihnen gebührende Reverenz erweisen. Heinrich Bruppacher , Verfasser der ZRV Jubiläumsschrift von 1934, hat dazu das Wort:

„Es war im Jahre 1862, als an einem schönen Sommerabend rudernde Stadteinwohner sich ganz zufällig auf dem See trafen. Weniger zufällig aber war, dass die sich begegnenden Boote, eine ungeschulte Vierermannschaft und eine geschulte Zweiermannschaft, sich näher betrachteten und dabei der Wunsch aufkam, ihre Kräfte zu messen, d.h. wie einer der Initianten sagte: „Mer wänd luege, wer dä ander mögi.“

 

Diese sportbegeisterten Jünglinge rekrutierten sich aus in Zürich niedergelassenen Metzgerburschen im Vierer sowie aus britischen Studierenden im Zweier. Es wurde vereinbart, zwischen zwei ca. 800 Meter auseinander liegenden Punkten, die durch Schiffe, mit Freunden der Konkurrenten besetzt, fixiert waren, den Wettkampf sofort aufzunehmen.

 

Ein glücklicher Zufall wollte es also schon vor 72 Jahren, dass sich Einheimische und Ausländer gegenüberstanden, was natürlich erst recht zum Kapfe anspornte.

Die Wettfahrt begann. Obwohl am Anfang die Einheimischen im Vorteil lagen und durch ihre Freunde mächtig angespornt wurden, erreichten trotzdem die beiden technisch besser geschulten Briten vor den Metzgerburschen das Ziel und gingen zum grossen Erstaunen aller anwesenden Zuschauer als Sieger aus dem Wettkampf hervor.“

Die Chronisten sind sich einig, dass diese erste verbürgte Wettfahrt in – wie der Verfasser der SCZ-Jubiläumsschrift von 1963 vermutet – „ ganz gewöhnlichen Mietbooten …, bei denen auf jeder Ruderbank zwei Männer sassen mit je einem Ruder, das sich knarrend um einen Bolzen geschwenkt haben mag“ , den Anstoss zur Gründung des See-Clubs Zürich im Sommer 1963 gegeben hat. Der Gründung des ersten Ruder-Clubs in der Schweiz ging eine wohlwollende Notiz in der NZZ voraus, deren Inhalt auch Rückschlüsse auf die Erwartungen der damaligen Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Lancierung einer neuen Sportart zulässt:

„Wie verlautet, werden Schritte gethan, um nach dem Beispiel anderer passend gelegener Städte, einen Seeclub für Zürich und Umgebung ins Leben zu rufen, dessen Zweck nicht nur darin bestände, durch Herstellung eigens dazu gebauter Schiffe und Veranstaltung von nautischen Spielen, die hiesige Schifffahrt zu beleben, sondern auch um bei allfälligen Unglücksfällen auf dem See und auf dem Ausfluss der Limmat hülfreich wirken zu können. Wir begrüssen dieses zeitgemässe Unternehmen umso freudiger, als es unserer Stadtbevölkerung eine Fülle neuer, interessanter Genüsse in Aussicht stellt. Einen passenderen Spielraum für solche Übungen oder Feste als unsern schönen Zürichsee, können wir uns überhaupt nicht denken. Von Herzen wünschen wir deshalb der Sache kräftige Unterstützung und frisches Gedeihen!“

Kurz darauf wurde der angekündigte „Seeclub“ denn auch tatsächlich unter diesem Namen gegründet. Die Gründungsstatuten halten als Zweck der Vereinstätigkeit fest:

„a) Förderung der Schifffahrt, mit Berücksichtigung der jeweils neuesten Verbesserungen und Erfindungen,

b Übungen auf fliessendem Wasser,

  1. c) Organisation von Wettfahrten und nautischen Spielen.“

Der neue Verein bestand aus einer Rudersektion, einer Segelsektion (aus der später der Yachtclub entstand) und einer Sektion „Stacheln“ (Vorläufer des Limmatclubs und des Pontonierfahrvereins).

Mit der Gründung des See-Clubs Zürich war die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung dieser Stadt zu einer national und international bedeutenden Ruder-Hochburg geschaffen.

 

Ein Blick aufs internationale Wasser

 

Die Zeit war reif für Zürichs Eintritt ins Rudersportgeschehen. Wir wollen hier nicht zurückblenden in prähistorische Zeit, aus er bereits Ruderboot-Darstellungen vor allem frühägytischer Provenienz überliefert sind –aber des Pharaos Amenophis 2. (1483 – 1412 v.Chr.) sei hier doch kurz gedacht: Er scheint nicht nur als Bogenschützen und Reiter sondern eben auch als Ruderer/Steuermann eine sportähnliche Tätigkeit ausgeübt zu haben. Im übrigen aber ruderte man bis an die Schwelle der Neuzeit zu bestimmten Zwecken: um Krieg und Handel zu betreiben. Und dabei konnte Rudern von den Ausübenden durchaus nicht immer als solides Handwerk oder gar als hohe Kunst gepflegt werden.  Karl VII. von Frankreich führte im 15. Jahrhundert die Galeerenstrafe ein, und er verstand es so, unseren Sport zur meistgehassten Tätigkeit für Generationen zu machen. Auch manch ein unbotmässiger Eidgenosse endete in den Eisenketten der Ruderbank.

 

Die Anfänge des „zweckfreien“ und damit des wirklich sportlichen Ruderns liegen – wie könnte es anders sein- im England des späten 8. Und frühen 19. Jahrhunderts. Seit 1715 gab’s auf der Themse wie Wettfahrt der Fährleute. Danach entwickelte sich im Verlauf der Jahrzehnte eine eigentliche Weltmeisterschaft der besten Berufsruderer. Sie wurde auf Herausforderung gefahren und brachte dem jeweiligen Titelgewinner neben stattlichen Preisgeldern zwischen 500 und 1000 Pfund das Amt des königlichen Barkassenführers und damit einen lukrativen und prestigeträchtigen Lebensjob ein. Das war der „Sport“ der „watermen“. Daneben aber begann sich auch – vor allem bei Adelssöhnen und im gehobenen Bürgertum, unter der „gentlemen“ also das Rudern als eher lustbetonte Freizeitbeschäftigung zu verbreiten. Gerudert wurde in diesen Kreisen auch bald mal um die Wette und dabei ging’s nun nicht um Geld (das hatte man ja schon), sondern um die „ Ehre“. Damit war das Rudern als Amateursport geboren.

 

Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnten sich einzelne Public Schools und Universitäten über stattliche Langboot-Flotten ausweisen. Seit 1829 der Universitäts-Achter-Zweikampf zwischen Oxford und Cambridge, seit 1839 die königliche Henley-Regatta – solche Tradition macht begreiflich, dass die beiden in Zürich studierenden jungen Engländer den einheimischen Metzgerburschen an jenem Sommertag von 1862 dank überlegener Rudertechnik fast spielend davonfahren konnten. Nicht übersehen darf man allerdings in diesem Zusammenhang auch, dass sich das Rudern der „gentlemen“ in England zu einem Klassensport ersten Rangs entwickelt hatte: Den Amateurregeln des späten19 . Jahrhunderts genügte nur, wer nicht in einem „abhängigen“ Arbeitsverhältnis“ stand – kein Arbeiter, kein Handwerker, kein Künstler war bei der rudernden englischen Herrschaftsklasse erwünscht.

 

Da hielten’s die Zürcher bei der Gründung ihres ersten Rudervereins doch etwas anders: „ Es entstand eine glückliche Mischung von Einheimischen, Fremden, Handwerkern, Kaufleuten und Studierenden, die für die Entwicklung verbürgte“, vermutet Heinrich Bruppacher in der ZRV-Jubiläumsschrift von 1934 zur SCZ-Gründung.

 

Die ersten Regatten auf dem Zürichsee

 

Mit der Geburt des ersten Rudervereins wurde natürlich auch die Wettkampftätigkeit auf dem See reger. Aber sie dürfte sich auch in den Gründerjahren im Stil des Metzger/studenten-Zweikamps abgewickelt haben: „ Gleich nach der Gründung organsierte der Seeclub, dem britischen Vorbild auf der Themse folgend, kleinere Wettfahrten unter den Mitgliedern, die sich durch Inserate im Cluborgan oder sogar im Tagblatt herausforderten, wobei dann über die Bedingungen noch gemarktet wurde und man sich nach den vorhanden Booten richten musste; ausserclubliche Konkurrenz war ja noch gar nicht vorhanden“, beschreibt der SCZ-Chronist diese ersten „Regatten“. Als dann mit dem Ruderclub Zürich 1868 (der nicht mit dem heutigen RCZ identisch ist) und dem Ruderclub Seerose 1869 weitere , vor allem für Jugendliche gedachte Vereine und gar noch ein Anglo American Boating Club (1869) entstanden, begann sich der SCZ auch als Wettkampforganisator zu betätigen. Eine erste offene Regatta fand 1869 statt – aber wer sich darunter eine Veranstaltung vorstellt, die auch nur annähernd mit der heutigen internationalen Zürcher Ruderregatta verbleibe wäre, der irrt.

 

Die Veranstaltung begann in den Mittagsstunden mit der pompösen Abfahrt der Teilnehmer-, Veranstalter- und Zuschauer-Flottille bei Hotel Bellevue Richtung Liegenschaft Bosshart seeaufwärts. Um halb drei wurde vor dem Boshartschen Garten zur „Wettfahrt der Outrigger“ „Castor“ und „Pollux“ und der Gigs „Stadt Zürich“ und „Stadt Rapperswyl“ gestartet, dann folgte ein den Newcomern vorbehaltens Rennen: Mitglieder der beiden eben gegründeten Vereine „RC Zürich“ und „ Seerose“ starteten in den See-Club-Booten „Castor“ und „Pollux“ zu einer eigenen Wettfahrt. Dann folgte eine einstündige Pause, die „durch Nautische Spiele ausgefüllt“ wurde, bis dann um halb fünf zum vermutlich sportlichen Höhepunkt der Veranstaltung, zur „Wettfahrt der Skiffs“, gestartet wurde. Anschliessend folgten noch ein Rennen der „Kaiks“, erneut nautische Spiele und die Preisverteilung.

 

Abends um halb acht stand das Nachtessen auf dem Programm mit anschliessendem „Bal champêtre bei illuminiertem Garten (beng. Bel)”, und um halb elf Uhr nachts wurde zur “Heimfahrt mit illuminierten Booten” gebeten. Vier Rennen also und neun Stunden Unterhaltung und Vergnügen – das war die erste, authentische Vorläufer-Veranstaltung der heutigen Zürcher Internationalen mit ihrem über eineinhalb Tage verteilten Monsterprogramm von über 60 Rennen…

 

Gefahren wurde bei diesen ersten lokalen Ruderregatten auf dem Zürichsee nicht auf der heute üblichen geraden 2000-Meter-Steekce, sondern au dem für die Segelregatten gesteckten Dreieck über 10000 Schweizerfuss (3333.33 Meter). Dieses Dreieckfahren scheint bei den Ruder-Pionieren recht beliebt gewesen zu sein, hielt es sich doch als Spezialdisziplin bis 1896, bis in eine Zeit hinein also, in der auch auf dem Zürichsee Wettkämpfe über die gerade Strecke allgemein üblich geworden waren. Einzubürgern begann sich die gerade Strecke ab 1875, wobei die Streckenlänge nach Bootsgattungen und Altersklasse abgestuft war. Bis nach der Jahrhundert wende galten in Zürich folgende Standardstrecken:

 

Vierer

  1. Klasse (Senioren):   4850 Meter

(Bendlikon bis alte Tonhalle)

  1. Klasse(Junioren):    4050 Meter

(Möchhof bis alte Tonhalle)

 

Zweier und Skiff

  1. Klasse:     2850 Meter

(Wollishofen bis Tonhalle)

  1. Klasse:2100 Meter

Wollishofen Böcklinecke bis Tonhalle)

 

Wie und wann’s zur klassischen Zürcher Wettkampfstrecke kam, entnehmen wir der Jubiläumsbroschüre von 1934:“Die vielen Erfahrungen, die gemacht wurden, und das Suchen nach etwas Festem kamen in eine feste Bahn mit dem Zeitpunkt, da die Clubhäuser am Mythenquai entstanden. Das bis anhin geübte Querseeeinfahrten mit Ziel an der alten Tonhalle musste dem immer mehr auftretenden Dampfschwalbenverkehr etc. weichen und führte zur Einrichtung einer Rennstrecke auf der Westseite des Sees, die längst von den Ruderern als ruhiges und bestes Wasser (sic!) erkannt worden war. Die Regatta vom Jahr 1903 bot den Anlass dazu, und für diejenige von 1904 wurde zum ersten mal eine amtlich vermessene Stecke, deren Plan der C.V.N.C. (Centralverband Nautischer Clubs) durch den Ingenieur Ernst K. Weber aufnehmen liess, zur Anwendung gebracht. Die Strecke beginnt in der Nähe der Badeanstalt Wollishofen bei der Bootsbauerei Stämpfli und endigt vor den Bootshäusern am Mythenquai. Damit war die „heutige Strecke“ endlich gefunden und es darf hervorgehoben werden, dass damit die klassische Strecke auf dem Zürichsee entstanden ist, die nunmehr seit 30 Jahren ihren einwandfreien Dienst tut“.  Es sollten nach 1934 noch einmal über 30 Jahre hinzukommen, bis die Zürcher Ruderer sich nach einem neuen Wettkampfgelände umschauen mussten –  doch davon wird später die Rede sein.

 

Zum Zeitpunkt der Premiere auf der klassischen Strecke hatte Zürich bereits einen guten Namen als internationaler Regattaplatz. Den Anfang damit machte der SC Zürich als Organisator 1883. Damals fand in Zürich eine schweizerische Landesaustellung statt, die man sich allerdings nicht als „Landi“ nach dem 39er Muster, sondern eher als nationale Gewerbeausstellung vorstellen muss. Die Verantwortlichen des SCZ erkannten die Chance, die ein solcher Grossanlass in Zürich auch für die Propagierung de Rudersports bot. Das Austellungskomitee wurde um Unterstützung für den Fall gebeten, das der SCZ eine internationale Ruderregatta auf dem Zürichsee durchführe. Die Zusage kam, die Seeklübler machten sich ans Werke, und am 30. Juni/1. Juli 1883 traf sich zum ersten internationalen Ruderprominenz zum Wettkampf auf dem Zürichsee. Die Veranstaltung war ein voller Erfolg und leitete eine erste Serie von Regatta-Höhepunkten auf dem Zürichsee ein: 1884 das erste „Mannschaftsfahrten für Einzelruderer“, 1887 die erste schweizerische Meisterschaftsregatta im Rahmen der „Internationalen“, 1901 die erste Europameisterschaft des internationalen Fachverbandes FISA auf dem Zürichsee.. Nationale Titelkämpfe wurden in der Folge noch viermal 1904, 1908, 1918 und 1930-, Europameisterschaften noch einmal – 1924 – in Zürich ausgetragen.

 

Die Regatta auf dem Zürichsee wurde zu einem erstklassigen Propagandainstrument für den Rudersport auf dem Platz Zürich. Das fand seine Niederschlag in Vereinsgründungen: Allein im Jahrzehnt nach der ersten lokalen Regatta von 1869 wurden neben dem Ruderclub und dem RC Seerose (die beiden 1875 mit dem SCZ fusionierten) acht neue Klubs gegründet: der Anglo American Boating Club (1869 bis 1911), der Polytechniker-Ruderclub (1871), der Rumänische Ruderclub (1873 bis 1882), der Italienische Ruderclub (1873 bis 1888), der Cosmopolitische Club (1874 bis 1882), der Hellenische Ruderclub (1874 bis 1888), der Ungarische Ruderclub „Elöre“ (1878 bis 1914), Nordiska Roddförenigen (1878). Auch wenn es ich bei diesen Gründungen vorwiegend um den Zusammenschluss ausländischer Ruderfreunde handelte und auch wenn die Hälfte dieser Vereine nicht einmal die Jahrhundertwende überdauerte – für de Breitenentwicklung des Rudersports in Zürich waren sie von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Gemeinsam riefen die Zürcher Ruderer ihren Lieblingssport der Öffentlichkeit auch ausserhalb der Wettkampfveranstaltungen in Erinnerung – mit nachhaltigem Erfolg offenbar 1880, zeigt doch ein zeitgenössisches Bild den imposanten empfang der eidgenössischen Sängerfahne durch 22 Vierer-Mannschaften mit den Flaggen der 22 Kantone.

 

Von Comité über Commission zum ZRV

 

Es war, wie wir gesehen haben, der See-Club Zürich, der den Grundstein für die Regattatradition der grössten Schweizer Stadt gelegt hat. Schon nach der ersten Auflagen der lokalen Wettfahrten verspürte man im SCZ das Bedürfnis, die Arbeit und Verantwortung, die die Organisation einer Regatta mit sich bringt, auf mehrere Schultern zu verteilen. 1872 entstand deshalb das „Zentralcomité für die Organisation der Regatten“.

 

Doch dieser lose Zusammenschluss erwies sich al wenig tragfähig: Drei Jahre später kümmerte sich neben dem SCZ nur noch der Rumänische Ruderclub um die organisatorischen Belange der Wettkämpfe. Der See-Club zog sich daraufhin wieder zurück und organisierte die Regatten weiterhin im Alleingang, derweilen sich die jüngeren Clubs im „Centralverband Nautischer Clubs“ (CVNC) zusammenschlossen, um ihre Interessen zu wahren. SCZ und CVNC schrieben nun eigene Veranstaltungen aus, und es dauerte über 20 Jahre, bis die beiden Veranstalter 1906 erstmals gemeinsam zur Internationalen einluden. Basis für diese organisatorische Zusammenarbeit war ein Vertrag zwischen Verein und Verband, der die Regatta-Arbeit einer „Comission“ übertrug.“ Diese Einrichtung funktionierte schlecht und recht“, notierte Heinrich Buppacher später. „Sie litt aber an einem Hauptübel. Sie war gegenüber den Clubs allzu stark gebunden, was sie natürlich in der Ausübung ihrer Tätigkeit stark behinderte. Zu dieser Erkenntnis führte nachdrücklich der Verlauf der Internationalen und Schweizerischen Meisterschafts-Regatta 1908 und brachte den Gedanken auf, ein Zürcher Regatta-Verein zu gründen.“

 

Fürsprecher der Idee waren beim CVNC A. Klemm vom Deutschen Ruderverein und beim SCZ Heinrich Buppacher. Letzterer erinnert sich an die Gründung: „Am 14. Mai 1909 fand in den Übungssälen der Tonhalle, diese für den Platz Zürich und seinen Rudersport bedeutungsvolle Constituierende Versammlung statt. Ca. 150 Personen nahmen daran teil, sämtliche Ruderclubs des Zürichsees, sowie der Yachtclub Zürich, der Pontonierfahrverein von Zürich und Umgebung, der Limmatclub Zürich und Vertreter der städtischen Behörden. Als Tagespräsident amtete Herr Klemm vom D.R.V., der die Verhandlungen würdig leitete.“

 

Als Gründungsmitglieder hält das Protokoll vom 14. Mai 1909 fest: der Anglo American Boating Club, der Aviron Romand Zürich, der Grasshopper-Club Zürich (Rudersektion), der Deutsche Ruderverein Zürich, die Nordisk Roddföreningen, der Polytechniker Ruderclub, der Seeclub Zürich und der Ungarische Ruderclub „Elöre“. Im Verlauf der nächsten 25 Jahre kamen die Société Nautique des Etudaintes Français, der Ruderclub Kaufleuten, der Fussball Club Zürich (Rudersektion), der Ruderverein Industrieschule Zürich und der Belvoir-Ruderclub Zürich dazu. Im ersten „grossen“ Jubiläumsjahr, 1934, vertrat der ZRV elf Vereine mit 464 Aktivmitgliedern.

 

Krise und Versöhnung auf dem Wasser

 

Nun hätte der ZRV also als Dachverband der Zürcher Ruderer ein erspriessliches Verbandsleben beginnen können. Hätte – doch vorerst kam es anders. Als die erste ZRV-Regatta im Gründungjahr mit einem Defizit von 1051 Franken abschloss –nach damaligem Geldwert eine happige Summe –war der junge Verband dieser finanziellen Belastungsprobe intern nicht gewachsen. Alte Rivalitäten und Empfindlichkeiten brachen auf, und am 27. April 1910 endete die erste Generalversammlung im Desaster:

 

Der Gründungsvorstand war in corpore zurückgetreten, ein neues Führungsgremium konnte nicht gefunden werden. Andererseits war die Internationale fürs laufende Jahr bereits terminiert, ein Ausweg aus der Verbandskrise musste also gefunden werden, wollte sich Zürich nicht vor der gesamten damaligen Ruderwelt blamieren. Doch auch die zweite GV, eine Woche später, die erste ausserordentliche in der jungen Verbandsgeschichte, führte nicht weiter. Augen- und Ohrenzeuge Heinrich Buppacher hat nochmals das Wort zu diesem 4. Mai 1910:“ So missmutig war man geworden, dass der Protokollführer tiefbetrübt im Protokoll wörtlich niederlegte:

„Der Zürcher Regatta-Verein wird aufgelöst und sämtliches Material sowie Activen und Passiven gehen wieder über an den SCZ und an den CVNC unter Wiederauflebung de alten Vertrages vom Jahr 1906.“ Ein schwarzer Tag, dieser 4. Mai 1910, der den Tiefstand des rudersportlichen Geistes auf dem Platz Zürich kennzeichnet. Nach Schluss dieser Generalversammlung, die die Bestattung des ZRV nach noch nicht erreichtem ersten Lebensjahr bedeutete, verblieben einige Unentwegte beieinander, die sich jedoch mit der bereits fixierten Regatta pro 1910 beschäftigten als mit dem eben zu Grabe getragenen ZRV.“

 

Es war allerdings, glücklicherweise, dem ZRV nur ein kurzer Scheintod bescheiden. Auf den schwarzen 4. folgte ein heller 5. Mai. Heinrich Buppacher: „ Einer glücklichen Fügung des Schicksals, bzw. einer leider später verschwundenen Gepflogenheit, nämlich der am 5. Mai 1910 stattgefundenen Maifahrt des CVNC bleib es vorbehalten, nochmal eine letzte Anstrengung zur Bildung eines neuen Vorstandes zu machen, da ja alles einverstanden war, auch 1910 eine Internationale Regatta zu veranstalten Kein psychologische günstiger Zeitpunkt  hätte gefunden werden können, als eben gerade das auf den 5. Mai angesetzte Anrudern des CVNC.

 

An dieser Ausfahrt nach Herrliberg wurde in einer ad hoc stattgefundenen Aussprache beschlossen, auf den 6. Mai nochmals eine Generalversammlung einzuberufen, die das Datum der Regatta vom 27. Juni dann offiziell bestätigte und einen Vorstand fand. Damit waren die Regatta und auch das Weiterbestehen des ZRV gerettet. Dass sich die pro 1910 gewählten Vorstandsmitglieder bewegen liessen, trotz grosser persönlicher Zeitopfer sich dem ZRV zur Verfügung zu stellen, stellte diese Herren das beste Zeugnis für ihre Uneigennützigkeit und rudersportliche Auffassung aus und verdient den tief empfundenen Dank aller zürcherischen Ruderer.“

 

Auf- und Ausbau Zürichs zur Ruderhochburg

 

Im Jubiläumsjahr 1984 gehören elf Ruderklubs mit 1600 Mitgliedern an. Statuarischer Hauptzweck des Verbandes ist wie in den Gründungstatuten „die Veranstaltung von Ruderregatten“. Dich darüber hinaus vertritt heute der ZRV auch die Interessen der Ruderer gegen aussen und insbesondere vis-à-vis der öffentlichen Hand – sei es als Kollektivmitglied im Zürcher Stadtverband für Sport oder als Gesprächspartner der Behörden im Zusammenhand mit jenen stadtplanerischen Fragen, die Ruderer unmittelbar tangieren, wie jene der Baurechtsverlängerung für die Bootshäuser am Mythenquai.

 

Die Basis für diese heute unerlässliche Funktion des ZRV legte die kontinuierliche Arbeit der Gründergeneration für die Zürcher internationale Regatta und für eine zweckmässige bauliche Infrastruktur zu diesem bis in die späten 60er Jahre andauernden Grossanlass. Die auch für heutige Verhältnisse noch grosszügige Konzentration der  Bootshäuser am Mythenquai beispielsweise ist ein Ergebnis jahrelanger, zäher Verhandlungen zwischen den Vereinen und Stadtverwaltung unter der Federführung des ZRV. Zürich kam so zur grössten Rudersportanlage aller Schweizer Städte.

 

Doch die ZRV-Repräsentanten kümmerten und kümmern sich nicht nur um die Interessen der Verbandsmitglieder. Auch die Popularisierung des Rudersports ist ihnen ein Anliegen, und als geeignetes Instrument dazu bot sich – statutenkonform – eine internationale Regatta geradezu gebieterisch an. Von allem Anfang an war man im ZRV deshalb darum bemüht diesen Wettkampf fürs Publikum so attraktiv wie nur möglich zu machen. Dazu bot die Bootshausanlage am Mythenquai als grosszügiger Zielplatz die geeigneten Voraussetzungen. Hier konnten die Zuschauer den Rudersport hautnah erleben: sehen, wie die Athleten sich und ihr Material auf den Wettkampf vorbereiteten, den Endspurt inmitten einer Schar schreinder Fans mitverfolgen, die Freude der Sieger, die Enttäuschung der Besiegten spüren – und über allem die unvergessliche Duftmischung von Bratwurst und Massageöl.

 

Doch zur eigentlichen Attraktion der Zürcher Regatta wurde über die Jahre und Jahrzehnte die „schwimmende Tribüne“, der Begleitdampfer. Von ihm liessen sich die Rennen der Start weg verfolgen, und so ist es verständlich, dass sich auf dem unter der einseitig verteilten Zuschauerlast mit schwerer Schlagseite von Wollishofen zu den Bootshäusern dampfenden Schiff vor allem ein fachkundiges Publikum traf. Hier waren die Trainer, die Offiziellen, die Gäste, die Habitués –  hier war man unter seinesgleichen. Doch die schönste Zielanlage, der stattlichste Begleitdampfer wären nutzlos ohne attraktive Rennen auf dem Wasser. Auf drei Ebenen waren und sind die ZRV-Verantwortlichen tätig, um die Regatta für die Aktiven attraktiv zu machen.

 

Die Strecke.Seit 1904 konnte Zürich den Ruderern eine einwandfreie 2000-Meter-Strecke mit festem Start für zehn Boote anbieten –  eine Pionierleistung in der damaligen Zeit Bereits 1924 wurde in Zürich auch die Zielfotografie zur einwandfreien Ermittlung des Einlaufs eingeführt. Auch als sich der ZRV nach neuen Wassern umsehen musste – wovon noch die Rede sein wird – galt das stete Bemühen der Organisatoren vorerst einwandfreien, fairen Bedingungen für die Wettkampfteilnehmer.

 

Sportförderung. Aus der Erkenntnis heraus, dass starke Zürcher Mannschaften ein erstklassiges Propagandainstrument für den Regattaplatz sind, bemühte sich der ZRV auch schon sehr früh, um gute Rahmenbedingungen für das Training der Zürcher Ruderer, ohne dadurch in den Trainingsbetrieb der einzelnen Vereine eingreifen zu wollen. So wurde –  „um dem Ruderer möglichst lange das Training zu erhalten“ – das feucht-fröhliche „Abrudern“ der Frühzeit in eine eigentliche Herbstregatta umgewandelt; dieser Anlass ist noch immer eine willkommene Gelegenheit, in der Nachsaison jungen Ruderern erste Wettkampferfahrungen zu vermitteln und bestandenen Aktiven Starts in neuen Kombinationen zu ermöglichen. Pionierarbeit leistete der ZRV auch auf dem Gebiet des Wintertrainings: Mit der Ausschreibung eines Ruder-Skiabfahrtsrennens auf Trübsee/Engelberg propagierte er schon 1932 Skifahren als Ausgleichsport für Ruderer. Später bot er den Zürcher Ruderern ein fachkundig geleistetes Winter-Konditionstraining an; seit 1978 steht den Spitzenruderern der ZRV-Ergometer für Leistungstests zur Verfügung. Hin und wieder führte diese Aktivität des Regattavereins gar zur Bildung eigentlicher ZRV-Rennmannschaften: 1925 beispielsweise wurde ein solcher ZRV-Vierer Europameister im ungesteuerten Boot.

 

Internationale Kontakte. Bewusst wurde im ZRV auch die internationalen Kontakte gepflegt mit dem Ziel, der Regatta eine dauernde und gute internationale Beteiligung zu sichern. Auch hier ging der ZRV neue Wege, indem 1930 mit dem Mannheimer Regattaverein erstmals ein Vertrag über den gegenseitigen Besuch der Wettkämpfe abgeschlossen wurde. In diesem Vertrag wurde vereinbart, dass der besuchende Verband vom Veranstalter einen bestimmten Geldbetrag zur freien Verfügung erhält, einen Unkostenanteil gewissermassen an die nicht unerheblichen Aufwendungen für Reise, Unterkunft und Verpflegung.

 

Dass der Freundschaftsvertrag zwischen den Regattavereinen von Zürich und Mannheim heute noch existiert, ist vor allem auch den Nachkriegspräsidenten des ZRV, Dr. Ernst Ganz, zu verdanken. Er nahm 1952, unmittelbar nach der Wiederaufnahme des Deutschen Ruderverbandes DRV in die FISA, Kontakt mit dem Mannheimer Freunden auf, um die alten Beziehungen wieder aufzubauen. Beide Partner profitierten auf ihre Weise von der Vereinbarung: Die Ausschreibung, die früher vom ZRV für die Beschickung der Mannheimer Regatta mit einer Auswahl durchgeführt wurden, spornten die Zürcher Ruderer schon in der Frühsaison zu guten Leistungen an. Und die Mannheimer stellten zum 50jährigen Bestehen des Kontraktes den Zürchern gar ein historisches Zeugnis aus: “Wenn heute die Oberrheinische Ruder-Regatta mit zu den bekanntesten Regatten des internationalen Weltrudersports zählt, dann liegt ihr internationaler Ursprung in der seit Jahrzehnten lebendigen Partnerschaft zwischen Ruderern aus Zürich und Mannheim begründet.“

 

Die Arbeit des ZRV trug Früchte. Vor dem Ausbau des Rotsees zur internationalen Wettkampfstätte für Ruderer war Zürich der schweizerische Regattaplatz, und auch nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 60er Jahre hinein konnte der ZRV seine hervorragende Position im internationalen Wettkampfkalender behaupten. Ein Blick ins Regattaprogramm im Jubiläumsjahr 1959 zeugt vom Standard der Zürcher Regatta: Im grossen Vierer mit (Sieger: die nachmaligen Vierer-Ohne-Europameister vom Belvoir RC Zürich mit Kottmann, Streuli, Scheller und Ess) ging ein Zehn-Boote-Feld an den Start mit Booten aus Griechenland, der BRD, Ägypten, Italien und Österreich, das Achterrennen war mit zehn Booten quantitativ und mit Crews aus Frankreich, Deutschland und Griechenland qualitativ ausgezeichnet besetzt. Zürich war auf dem Höhepunkt seiner Bedeutung als internationaler Regattaplatz angelegt.

Die Flucht vom Zürichsee…

 

In den 60er Jahren dieses Jahrhunderts wurde der Regattaplatz Zürich vom Schicksal aller Ruderregatten auf offenem See erreicht. Zur Unberechenbarkeit de Wetters – schon früher hatten plötzlich aufziehende Stürme Regatta-Unter- und Abbrüche erzwungen, doch damit konnten die Ruderer leben – gesellte sich nun der mit dem wirtschaftlichen Konjunkturaufschwung rasant wachsende private Motorbootverkehr als konstanter Störfaktor – erst für die Regatten, dann immer mehr auf fürs geregelte Training auf dem See.

 

„Unsere internationale Regatta litt sehr unter der Ungusnt des Wssers, was selten in dieser Zeit vorkommt. Der Einbruch des Föhns hat sich störend bemerkbar gemacht“, sagte ZRV-Präsident Dr. Ernst Glanz in seinem Jahresbericht 1962. Und die Klage über die Wasserverhältnisse zieht sich wie ein roter Faden auch durch die Berichterstattungen seines Nachfolgers Hans-Jakob Keller.

 

Die Immer prekärer werdenden Bedingungen wirkten sich sehr schnell aufs Renommé der Zürcher Regatta bei den Aktiven aus: Der Spitzenruderer begann den Anlass zu meiden, was im ZRV verständlicherweise geharnischte Reaktionen hervorrief. „ Ich möchte in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, dass zwischen Ruderer und Veranstalter eine beidseitige Verpflichtung besteht und dass ein derartiges Verhalten unserer Ruderer auf lange Sicht sich bestimmt zum Nachteil derselben auswirken würde“, meinte H.J. Keller im Anschluss an einen „Boykott-Versuch“ der Spitzenruderer gegenüber der Zürcher Regatta im Olympiajahr 1964.

 

Der SRV konnte dann zwar den Aktiven den Besuch der grossen schweizerischen Regatten mit Nachdruck empfehlen, doch es begann sich bereits abzuzeichnen, dass Zürich sich nun vor allem darauf konzentrieren musste, seine Stellung als Regattaplatz für den Nachwuchs zu behaupten. Volle Felder in den Nachwuchskategorien zeigten, dass diese Konzept bei den Aktiven ankam: doch gleichzeitig musste der ZRV auch zur Kenntnis nehmen, dass das breite Publikum nur zu Ruderregatten geht, wenn dort internationale Spitzenboote zu sehen sind. Rückläufige Besucherzahlen an der Regatta schlugen natürlich auf die Rechnung durch, der finanzielle Spielraum wurde enger. Enger wurde es aber auch auf dem Wasser: Aufschüttungen im Rahmen einer neuen Seegestaltung vor Wollishofen tangierten die Regattastrecke massiv: Statt der früheren zehn konnten jetzt nur noch sechs Bahnen über 2000 Meter benützt werden.

 

Die Addition aller Schwierigkeiten führte im ZRV zur Einsicht, dass man sich Gedanken über eine Neukonzeption der Zürcher Internationalen machen sollte. Den Auftakt dazu machte ein Hearing im Frühling 1969 in Horgen. Es kam zu einem regen Meinungsaustausch, doch kurzfristige, konkrete Änderungen blieben aus. Im Bemühen, Zürich zu einem Regattaschwerpunkt für die Nachwuchsruderer zu machen, war der ZRV zwar recht erfolgreich, begann sich doch das Projekt einer Nachwuchsländerkampfes der FISA-Gründernationen und der BRD zu konkretisieren. Doch erwiesen sich die Schwierigkeiten, im Zürcher Seebecken eine reguläre Regatta durchzuführen, als immer unüberwindlicher. „Mit Bedauern müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass unsere internationale Regatta infolge des schlechten Wassers im unteren Seebecken, nur darum , in Zukunft kaum mehr durchgeführt werden kann. Der Verband konnte mit Rücksicht auf diese Verhältnisse unsere Regatta nicht mehr als Pflichtregatta bezeichnen“, musste H.J. Keller als Präsident der ZRV-Delegierten im Jahresbericht 1970 bekanntgegeben. Das Ende der traditionsreichsten schweizerischen Seeregatta war gekommen.

 

Der Abstecher in die Berge

 

Der ZRV musste angesichts dieser Situation kurzfristig eine Übergangslösung und langfristig eine neue Strecke suchen, wollte er seine Funktion als Regattaveranstalter weiterhin wahrnehmen – und natürlich wollte er das.  Zusammen mit dem SC Wädenswil, der für die ROZ-Regatta vor ähnlichen Problemen stand, wurde der Sihlsee als „Ersatzwasser“ „entdeckt.“

 

Um der Premiere auf dem Voralpensee einen möglichst guten Start zu ermöglichen, bewarb der SRV um den neu geschaffenen Senioren-Länderkampf. An einer ausserordentlichen DV beschlossen die ZRV-Delegierten am 27. März 1971 die Durchführung der Internationalen auf dem Sihlsee und die Übernahme des Länderkampfes der FISA-Gründernationen plus BRD. Mit Befriedigung stellte H.J. Keller an der ordentlichen DV im November 71 fest: „ Ich darf feststellen, dass das vergangene Jahr als Markstein in die Geschichte des Zürcher Regattavereins eingehen wird, ist es uns doch auf Anhieb gelungen, den Transfer unserer Internationalen Ruderregatta vom Zürichsee auf den Sihlsee mit Erfolg durchführen.“

 

Enttäuschungen bleiben allerdings auch nicht aus: Der geplante Länderkampf der vier Gründernationen plus BRD schrumpfte zu einem Dreiländertreffen. Im überspringen aber war man rundum zufrieden, der Transfer vom Zürich- an den Sihlsee schien vollauf geglückt, und mit Stolz nahm man im ZRV zur Kenntnis, dass ausländische Regattabesucher das neue Wettkampfgelände schwärmerisch mit den renommierten Regattaplätzen Luzern und Bled verglichen… Alles schien zum besten bestellt, und 1973 wurde die Internationale auf dem Sihlsee zu einer „Regatta wie in früheren Zeiten“: Zum Seniorenläderkamppf kamen Nationalmannschaften aus Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich, in den Eliterennen starteten zudem noch Crews aus Kanada und Australien. Doch gleichzeitig deckte der Erfolg der 1000 Aktiven und ebenso vielen Zuschauern auch die Schwächen der Voralpenstrecke auf:

 

Es fehlten sanitäre Anlagen und Garderobenräume für einen Sportanlass dieser Grössenordnung. Zusätzliche, die Existenz der Sihlseeregatta gefährdende Schwierigkeiten begannen sich abzuzeichnen, unter anderem durch die eben auch auf dem Sihlsee auftretenden Sturmwinde. 1975 wusste der ZRV leider auf die Alte Strecke im Zürcher Seebecken und das unter Preisgabe des guten Termins Ende Juni/Anfang Juli im Regattakalender.

 

Um störenden Motorbootwellen auszuweichen, setze man den Anlass in der Frühsaison an. Doch Petrus spielte nicht mit. 1976 musste der heftigen Bise wegen das ganze Samstagsprogramm gestrichen, am Sonntag die Distanz auf 1000 Meter gekürzt werden. Unter diesen Umständen verzichtete der ZRV teilweise auf Renngelder, was natürlich ein tiefes Loch in die Kasse riss. Dem 1976 neu gewählten ZRV-Präsidenten Dr. Eugen Schmid war im ersten Amtsjahr auch kein erfreulicher Start vergönnt als seinem Vorgänger: Die Regatta 1977 musste am Sonntag abgebrochen werden, und auch 1978 konnte das Programm nicht voll durchgeführt werden. „Nach dem dritten Abbruch der Regatta in Reihe darf wohl ohne Übertreibung festgehalten werden, dass auf dem Platz Zürich keine 2000-Meter-Regatta mehr durchgeführt werden kann. Auch der gelungene Schusspunkt im Tram-Apéro rettet keine Regatta.

Da Regatten bekanntlich für Teilnehmer und nicht für die Veranstalter organisiert werden, beschloss der Vorstand des ZRV keine Frühjahresregatta in Zürich 1979 durchzuführe“, rapportierte Dr. Eugen Schmid in seinem Jahresbericht. Zum zweiten Mal und jetzt definitiv was das Ende der Internationalen auf dem Zürichsee gekommen.

 

Auf zu neuen Ufern

 

Schon vor dem endgültigen „out“ auf dem Zürichsee hatte man sich im ZRV die Möglichkeiten für eine neue Strecke umgesehen, und dabei war der Pfäffikersee ins Blickfeld der Ruderer gerückt. Nun sorgte die Alternative „neue Strecke oder aufhören“ dafür, dass die Zürcher Ruderer mit energischer Entschlossenheit zur Sache gingen. Die Vorabklärungen für eine Dislokation der Internationalen auf den Pfäffikersee waren bald einmal so weit gediehen, dass bei den für das Naturschutzgebiet zuständigen kantonalen Behörden ein Gesuch eingereicht werden konnte. Dann mussten sich die ZRVler mit Geduld wappnen. An der DV von 1978, ein knappes Halbes Jahr vor dem in Aussicht genommen Regattatermin, war noch ungewiss, ob die Zürcher Internationale 1979 auf der neuen Strecke würde stattfinden können.

Dr. Eugen Schmid machte als damaliger ZRV-Präsident die Situation noch einmal deutlich, als er sagte: „ Sollte wider Erwarten das Gesuch abgelehnt werden, dann würde es 1979 nach der Vorstellung des ZRV keine Zürcher Internationale Regatta geben.“

Das Gesuch wurde abgelehnt – die Interessen der Ruderer und des Naturschutzes liessen sich am Pfäffikersee nicht auf einen Nenner bringen. Doch gleichzeitig präsentierte der Kanton den Ruderern einen neuen Vorschlag: der Greifensee. „Entdeckt“ hatten die Ruderer dieses Wasser schon vor vielen Jahren, sei’s als Trainingsrevier oder dank der Herbstregatta des RC Uster. Doch nun sollte der idyllische See im Oberland internationales Renommé erhalten, indem zwischen Uessikon und Maur eine reguläre 2000-Meter-Strecke vermessen wurde. Im Tages-Anzeiger äusserte sich der Ruder-Fachjournalist Dr. Licinio Valsangiacomo voller Vorfreunde auf die Premiere: „ Die Schifflände in Maur bietet sich als weithin überblickbares, idyllisches Zielgelände an, das überdies über die notwendige Infrastruktur verfügt: gute Zufahrtswege, grosser Parkplatz, geeignetes Gelände für Bootslagerplatz und Anlegepontons, leistungsfähiges Restaurant und Garderoben im Schulhaus Pünt. „Sille Geniesser“ haben überdies die Möglichkeit, die Rennen vom natürlichen Uferweg aus über weite Strecken zu verfolgen. Da im übrigen alle Gewähr einer Einhaltung der auch auf dem Greifensee nicht fehlenden Schutzbestimmungen gegeben scheinen, sehen die Ruderer mit Zuversicht der „Première“ vom 27./28. Mai entgegen, und die meisten Einheimischen dürfte es freuen , dass Maur nun unversehens zu einem internationalen Regattaplatz geworden ist.“

 

Bis allerdings der erste Start auf der neuen Strecke gegeben werden konnte, bedurfte es einer Parforceleistung des ZRV. Dass dabei auch die Kasse des Regattavereins arg strapaziert wurde, liegt auf der Hand, mussten doch für die neue Strecke die entsprechenden Installationen  gekauft werden. Doch bei den Ruderern kam der Greifensee gut an: In seinem Abschieds-Jahresbericht an der DV 1980 konnte Dr. Eugen Schmid feststellen: „ Nach der dritten Regatta dürften die aufwendigen neuen Anlagen abgeschrieben sein. Finanziell ist die Regatta für die Zukunft (auch ohne Subventionen) auf einer gesunden Basis.“ Zum drittenmal in seiner Geschichte hatte damit der Regattaverein Zürich seine „Internationale“ gezügelt und mit Erfolg die drohende Liquidation dieser ältesten schweizerischen Ruderregatta abgewendet.

 

Ganz ohne Probleme ging’s allerdings auch auf dem Greifensee nicht, doch sie erweisen sich im nachhinein als Episoden am Rande. Schon im ersten Greifensee-Jahr drohte der Konflikt zwischen Ruderern und Sportfischern aufzubrechen, in dem der Spotfischerverein Maur und Umgebung seine Mitglieder zu einer Demonstration gegen die Regatta aufrief. Doch dann siegte die Einsicht, dass Ruderer und Fischer schlussendlich am gleichen Wasser Freude haben und man also auch miteinander reden könnte –und die Demo unterblieb. Hitziger ging’s an der Regatta 1982 zu und her. Nach mehrmaligen Zwischenfällen im Ablauf der Regatta mit dem Linienbetrieb der Schifffahrtsgenossenschaft Greifensee führte das Gespräch zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung.

 

Auch Kritik aus dem Ruderlager wegen einer als zu „dürftig“ empfundenen Infrastruktur und wegen einiger organisatorischer Mängel blieb dem ZRV nicht erspart. In seiner Antwort stelle der neue ZRV-Präsident Hansjürg Saager klar, dass der ZRV primär sportliche Überlegungen im Vordergrund stehen:“ Der ZRV ist sich bewusst, dass mit der Wahl eines Regattaplatzes in einer Naturschutzzone für die Infrastruktur einer internationalen Regatta keine optimale Voraussetzungen bestehen.“ Ohne die Bedeutung der Infrastruktur für eine Regatta abzuwerten, glaubt er aber  mit der Wahl des Greifensees die fairste Strecke für die Ruderregatta in der Umgebung von Zürich und eines der besten Gewässer in unserem Lande überhaupt gefunden zu haben. „ Wir sind der Auffassung, dass ein möglichst windgeschütztes Gewässer, das neben der Rennstrecke genügend Raum für Einfahren und Kurztrainingsbietet, die weitaus wichtigste Qualität eines Regattaplatzes darstellt.“

 

Das Meldeergebnis 1984 gab dem ZRV-Präsidenten recht: Für die Regatta im Jubiläumsjahr stellte sich u.a. ein volles Achter-Feld dem Starter, mit hochklassigen Crews aus Italien, den USA, der BRD und der Schweiz – ein Bild wie in den grossen Jahren der Internationalen Zürcher Ruderregatta.

 

Zürich im Jahre 1909

 

Zürich in 6 Tagen– dieses umfangreiche Pflichtenheft bekam der Zürich-Besucher im Jahr 1909 aufgebrummt, falls er sich ans Programm des Zürcher Tramwegweisershielt. Mit superlativischen Wendungen stellte dieser dem Fremden eine „Fülle“ von Schönheiten, von hoher Freude“ in Aussicht, die allerdings schlagartig getrübt wurde, sobald der erwartungsvolle Tourist eine Seite in seinem Wegweiser weiterblätterte: Da bestand Zürich nurmehr aus einer nüchtern-freudlosen Aufreihung von Bauten, die man in einem Stadtrundgang zu besichtigen hatte. Hauptbahnhof und Landesmuseum, rotes und weisses Schloss, die Volkssternwarte Urania und die Tonhalle, ein paar Kirchen und Zunfthäuser und schliesslich die ETH. Ermüdungserscheinungen waren da unvermeidlich: Der Tramwegweiserempfahl dann einen 5 o’clock teain der „Sprüngli“ – Konditorei oder eine kleine Dampfschifffahrt auf dem Zürichsee – „délicieusement encadré de campagnes luxuriantes“ oder, kurz und bündig, „the loveliest of Swiss Lakes“. Ein Blick hinter diese fremdenverkehrskonformen Zürich-Kulissen zeigt den Zürcher Alltag von 1909.

 

Die Stadtbehörden läuteten das neue Jahr gleich mit einer Säuberungsaktion ein: „ Der Zigeunerkolonie Ciorum, Demeter, Kivick und Consorten im Sihlhölzli“, so lautete der magistrale Beschluss vom 16. Januar 1909, „wird die Niederlassung in der Stadt Zürich entzogen.“ Vom fahrenden Volk befürchtet man Ärger, und Ausländer hätte Zürich alleweil schon übergenug: Bei einer Einwohnerzahl von 190 000 beherbergte die Stadt über 60 000 Ausländer, knapp 30 Prozent der städtischen Bevölkerung. Die Integration war schwierig und gab jedenfalls Anlass zu grossen Auseinandersetzungen. In bester Erinnerung waren den Zürcher noch die „Italienerkrawalle“ von 1896, welche die ganze Stadt in Aufruhr brachten und nur durch ein massives Truppenaufgebot aufgelöst werden konnten. Dieses ausländische Potential an wohlfeilen Arbeitskräften brachte unliebsame Bewegung in den Zürcher Arbeitsmarkt; viele Zürcher hatten um eine Anstellung zu bangen und ums tägliche Brot zu kämpfen. Sehr leicht machten es sich die Lehrer – und zwar auf kosten ihrer nicht gleichberechtigten Kolleginnen. Am 28. Januar beschloss die Zentralschulpflege „ entgegen einem gegenteilig lautenden Antrag… die Nichtwählbarkeitverheirateter Lehrerinnen an den städtischen Schulen.“

 

Aber auch ohne solche frauenfeindliche Sanktionen kamen berufstätige Frauen in die Zürcher Schlagzeilen. Am 29. März tagte der Frauenverein für Mässigkeit und Volkswohl in Zürich. Gemäss seinen Statuten bekämpfte er das „Wirtshausleben, sofern dasselbe dem sittlichen und materiellen Wohlergehen des Volkes Eintrag tut“. Dass dieser Tatbestand in erschreckendem Masse erfüllt war, zeigen nackte Zahlen. 1909 existierten in der Stadt Zürich über 1100 Wirtschaften, und der Alkoholkonsum lag mit 131 Litern Wein pro Kopf (von den Fünfzehnjährigen an gerechnet) und Jahr weit über dem heutigen Mittelwert von 57 Litern. Auch die Geistlichkeit machte sich Sorgen über die Zürcher Wirtshausmisere: „Wir habe zuviele Wirtschaften“, wetterte der Zürcher Pfarrer Bosshardt in seiner angriffigen Broschüre „ Die Winkelwirtschaften in der Stadt Zürich“. Laut seinen Berechnungen traf es „eine Wirtschaft auf 155 Einwohner, Frauen und Kinder inbegriffen.“

 

Die initiativen Frauen des Frauenvereins sorgten hier für wirksame Abhilfe: Susanne Orelli, die Vorsitzende der Betriebskommission, konnte am 29. März den Vereinsmitgliedern Bericht erstatten über gut florierenden Betrieb in den neun alkoholfreien Gaststätten: „Die tägliche Frequenz der neun Häuser… weist zur Zeit 8000 bis 9000 Personen auf. Die Lokale sind morgens 5 ½ bis abends 10 ½ Uhr geöffnet. Besonders beliebt sind die einfachen Mittagessen zu 50, 70, 90 Rp. Die weiblichen Gäste, aber auch von vielen männlichen den teureren vorgezogen und nach Belieben durch Zugabe von Kuchen, Milch oder andern nahrhaften Speisen und Getränken ergänzt.“ Milch statt Alkohol schien die erfolgreiche Devise zu lauten; jedenfalls betrug „der Absatz von Milch… in den Lokalen des Vereins täglich ca. 2000 Liter.“

 

Ein noch heikleres Thema lag dem Pfarrer Bosshardt auf dem Herzen:“ Das sage ich: Wenn unsere Bevölkerung wirklich wüsste, was in manchen dieser Wirtschaften geschieht, so müsste zum Schutze der Wirte vor Lynchjustiz die Polizei aufgeboten werden.“ Einzige Aufgabe mancher Kellnerinnen sei es, den Gast zu „verseckeln“: Dait war das Dirnenunwesen gemeint, „die schamlose Verführung zum Laster“, welche in den Hinterstuben der Wirtshäuser oder gar in Zigarrenläden – auch eine Domäne ausschliesslich männlicher Kundschaft – von verwahrlosten Töchtern aus der Arbeiterklasse betrieben wurde. Im Jahr 1909 musste Zürcher Stadtbehörde sämtliche Zigarrenläden zu öffentlichen Lokalen erklären, zu denen folglich jeder Polizeidiener jederzeit Zutritt hatte. Wenige Tage später las man im Tagblattdann ein „Eingesandt“: „Wie kommt es“, so wurde gefragt, „dass gewisse Herren Polizisten plötzlich so teure Zigarren rauchen?“

 

Überhaupt war die Zeitungslektüre spannend: Wer in der NZZ, im Tages-Anzeigeroder im Volksrechtnicht auf seine Rechnung kam, der konnte 1909 auch noch die Zürcher Post, die Neue Zürcher Zeitung, die Freitagszeitungoder gar die Wochenchronikauf Pikantes, auf Unfälle und Verbrechen hin durchsuchen. Welches Entsetzen etwa beim Betrachten der beiden Photos, die der Tages-Anzeigerzu seinem Bericht über das spektakuläre Eisenbahnunglück auf der Halbinsel Au am 20. März veröffentlichte und folgendermassen kommentierte: „Vormittag kurz vor 10 Uhr fuhr bei der Station Au am Zürichsee der von Wädenswil herkommende Churer-Zug infolge falscher Weichenstellung auf drei Gepäckwagen auf, die in der Nähe des Güterschuppens auf dem blinden Geleise standen. Zwei Tote und ein schwerverwundeter Knabe…“

 

Und schon eine Woche später war der Zürichsee wieder Thema einer Reportage: Der aussergewöhnlich tiefe Pegelstand des Sees liess oberhalb von Stäfa „eine Insel aus der dunklen Flut“ emportauchen. „Jahreszahlen und Wasserstandsmarken aus verschiedenen Jahrhunderten finden sich am Signalstein eingemeisselt; nie aber ist der heutige Tiefstand des Sees erreicht worden. Gegen 150 Schritte lang und 50 Schritte breit… Raum genug zu fröhlichen Gelage und Kegelspiel… Auch am letzten Sonntag sah der Stein Hunderte von Besuchern, und wacker wurde gezecht und gesungen.“ Am 22. Mai berichtete die Illustrierte Wochenbeilagedes Tagi vom Stapellauf des neuen Zürichsee-Dampfers „Stadt Zürich“, welcher „natürlich bei unserer Bevölkerung ein besonderes Interesse gefunden hat. Das im Inneren noch nicht vollendete Schiff machte bereits einen sehr stattlichen Eindruck.“

 

Ebenfalls einen hervorragenden Eindruck machte das an der Ecke Rämi-/Zürichbergstrasse neuerstellte Kantonschulgebäude, welches am 26. April festlich eingeweiht wurde. „Der Bau“, so berichtete der Tages-Anzeiger,„präsentiert sich in schönen, ruhigen und einfachen Linien und ist mit allem praktischen und hygienischen Einrichtungen versehen.“ Ordnung und Reinlichkeit wurden nicht nur im Primarschulzeignis benotet, sondern waren – als architektonische Leitlinien – sogar im kantonalzürcherischen Schulgesetz verankert. Zwei oder drei Fensterfronten wurden pro Schulzimmer verlangt; das Verhältnis von fenster- zu Bodenfläche war ebenfalls vorgeschrieben, und selbst die Anzahl der Gymnasiasten, die sich in eine WC-Sitz zuteilen hatten, war im Schulgesetz festgelegt. Trotz all dieser Vorschriften war der Bau etwas zu gross geraten, so dass in einem leerstehenden Seitenflügel auch noch da Chemische Institut der Universität einquartiert werden konnte.

 

„Die Einweihung des neuen Chemischen Instituts… hat insofern eine grosse Bedeutung“, rekapituliert die Tagespresse aus der Rede des Rektors, „als dieser Festakt den Anfang der Reorganisation unseres gesamten Hochschulstudiums bedeutet.“ Den Uni-Chemikern ging es bis anhin tatsächlich schlecht. Die Universität war bis zur Einweihung des pompösen Moser-Uni-Gebäudes 1914 im Südflügel der ETH untergebracht. Unter der Raumknappheit hatten vor allem die Chemie-Studenten zu leiden: „ In ehemaligen Kellern und Holzbehältern hatte man Arbeitstische eingerichtet, in den das Tageslicht auch beim schönsten Sonnenschein nicht genügte“, heisst es in der Festschrift zu Eröffnung des neuen Instituts, „so dass Lehrer und Schüler schaden an ihrer Gesundheit nehmen mussten.“

 

Die vom Uni-Rektor in Aussicht gestellte Reorganisation des Hochschulstudiums nahm 1909 tatsächlich einen bedeutenden Anfang – aber nicht bei den Chemikern, sondern an der physikalischen Abteilung. Am 7. Mai nämlich hatte der Regierungsrat beschlossen, den ausserordentlichen Lehrstuhl für theoretische Physik mit Albert Einstein zu besetzen – bei einem professoralen Jahresgehalt von 4500 Franken. Die Zürcher Hochschulen hatten zuvor dem genialen Wissenschaftler nicht leicht gemacht: 1985 liessen ihn die Professoren bei der Aufnahmeprüfung für ein ETH-Studium durchfallen, und 1900 verweigerte man dem mittlerweile doch studierten und frisch diplomierten ETH-Physiker eine Assistenzstelle. So musste Einstein, statt sich seinen physikalischen Arbeiten widmen zu können, vorerst an einem Schaffhauser Kanbenpensionat unterrichten.

 

Ein Physikstudent berichtete von seiner ersten Vorlesung beim neuernannten Professor Einstein im Jahre 1909: „ Als er in seiner etwas abgetragenen Kleidung mit zu kurzen Hosen und der eisernen Uhrkette das Katheder betrat, waren wir eher skeptisch. Aber schon nach den ersten Sätzen hatte er sich durch die ungewöhnliche Art, in der er die „Vorlesung“ hielt, unsere spröden herzen erobert.“ Einsteins Vorlesungsstil war tatsächlich wenig konform: „Das ganze Manuskript, das er bei sich trug, bestand aus einem Zettel von der Grösse einer Visitenkarte, auf dem skizziert stand, was er mit uns durchnehmen wollte. Er musste also alles aus sich selbst entwickeln, so dass wir einen direkten Einblick in seine Arbeitstechnik erhielten.“

 

Auf der Suche nach weiteren Zürcher Berühmtheiten stösst der Historiker zuerst einmal auf Erinnerungen, die 1909 immer noch lebendig waren –  Erinnerungen an die beiden Zürcher Dichter Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer, die Zürich in den 70er und 80er Jahren des soeben vergangenen Jahrhunderts zu einem Mittelpunkt des europäischen Literaturbetrieb gemacht hatten. Zudem stand die Bevölkerung nach wi vor unter der fast hypnotischen Wirkung des ersten Zürcher Weltbestsellers: Johanna Spyris Heidi, 1880 erschienen und 1909 bereits inder 27. Auflage nachgedruckt. In diesem Jahr erschien aber auch der zweite Band einer würdigen Nachfolgeserie – Ida Bindeschedlers Die Turnachkinder im Winter. Der Einfluss dieser bis heute rund 200 000mal gedruckten Kinderstory kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden: Die betuliche Prosa der Bindschedler ihr jüngferlichen Müde-aber-glücklich-Stil hat jugendlichen Aufsatzschreibern der nächsten fünfzig Jahre als Vorbild gedient. Die 1854 geborene einstige Lehrerin weilte im Entstehungsjahr freilich in Augsburg, in einer komfortablen Altstadtwohnung, die sie mit einer adligen Freundln namens Emma von Wächter teilte. Am Exil der etwas freudlosen Frau soll eine Liebesgeschichte mit unglücklichem Ausgang schuldgewesen sein; die meisten ihrer Geschwister, die sie in ihrer Turnach-Story nur leicht verschlüsselt zeichnet, erlebten ein ähnlich melancholisches Alter.

 

Literatur und Kunst, Lesen und Vergnügen wurden 1909 gross geschrieben. Schon kurz vor der Jahrhundertwende hatten die Zürcher Bürger für aufwendige Musentempel gesorgt: für das Stadttheater und die Tonhalle, beide von renommierten Wiener Architekten Helmer und Fellner erbaut. Seit 1906 stand die Tonhalle unter der Direktion des jungen Dirigenten Volkmar Andreae, der sich beim Zürcher Konzertpublikum mit umstrittenen Erstaufführungen von zeitgenössischen Werken beliebt, aber auch verhasst machte. Grossen Jubel jedenfalls gab es 1909 für die erstmalige Aufführung von Anton Bruckners 4. Sinfonie, der „Romantischen“. Weitgehend auf Unverständnis, ja auf gehässige Ablehnung stiess, ebenfalls 1909, die erste Aufführung von Gustav Mahlers 2. Sinfonie. Ein aufgebrachter Konzertbesucher machte seinem Ärger mit einem geharnischten Brief an die Tonhalle-Direktion Luft: das er nämlich „ nach des Tages Last und Verdriesslichkeiten im Reiche beglückender Schönheit das seelische Gleichgewicht wiederzufinden“ hoffe. „ Das kann man aber nicht finden, wenn einem durch zwei volle Stunden hindurch nur schere, massige, grüblerische Musik… geboten wird.“ Das Opernhaus musste auf solche aufwendigen künstlerischen Unternehmungen verzichten: Hier war der Betrieb auf Sparflamme eingestellt, nachdem die Zürcher Bevölkerung eine Subventionserhöhung von jährlich 30 000 Franken auf 50 000 Franken schon 1901 abgelehnt hatte.

 

Wen es eher zur leichteren Muse hinzog, der fand sein Vergnügen im 1900 eröffneten Corso-Theater – bei Schlangen- und Schmetterlingstänzerinnen aus den Pariser Folies-Bergères. Oder er wagte gar einen Besuch im 1899 ebenfalls von Helmer und Fellner umgebauten Pfauentheater, der etwas anrüchigen Operetten- und Tingeltangel-Bühne. Durch den noch heute bestehenden Rundbogen-Eingang gelangte man in einen ungedeckten Hinterhof. Dann musste man „noch einen Biergarten durchqueren“, schrieb die NZZin einem über die misslichen Verhältnisse am Pfauentheater, „wo sich auf dem unebenen Boden bei Regenwetter das Wasser in Pfützen sammelte. Die Kasse stand im Freien; der Theaterbesucher, der Karten kaufen wollte, ebenfalls; wenn das Telefon klingelte, nachdem die Vorstellung schon begonnen hatte, konnten die Besucher in den letzten Reihen die Schauspieler nicht mehr hören.“

 

Aber was waren alle diese Theatervergnügen gen eine Kinovorstellung! Die Kinematographen-Theater, wie sie 1909 noch hiessen, waren in Zürich eine brandneue Errungenschaft. Am 28. März 1907 erteilte die Stadtbehörde die erste Bewilligung für ständige Kinovorführungen im Parterre des Hauses Waisenhausstrasse 13, dem heutigen Ciné ABC. „Einziges Etablissement der Schweiz mit fortwährenden Tagesvorstellungen – Schaustellungen – Spezifitäten – Automatenausstellung –Erfrischungsraum“, verhiessen die Reklamen. Das Programm bot für jeden etwas: „Ruth und Boa (Drama), „Origineller Boxkampf“ (Sport) oder „Die Erzieherin“ (Komödie). Die Presse nahm von diesem Etablissement kaum Notiz; trotzdem war der Saal immer überfüllt, und die Gesuche um Bewilligung neuer Kinos häuften sich. 1909 wurde schon das sechste Zürcher Kino – das Olympiaan der Ecke Bahnhof-/Pelikanstrasse – eröffnet.

 

Klar, dass die Behörden diesen Kino-boom mit bau- und feuerpolizeilichen Bestimmungen einigermassen einzudämmen versuchten. 1909 trat gar noch die Kinderschutz-Vereinigung gegen die Kinobesitzer an; mehrfach wurde auf die verderblichen Einflüsse dieser lebenden Bilder für Kinder hingewiesen. Kinder durften in der Folge nur noch in Erwachsenenbegleitung vor der flimmernden Leinwand sitzen. Um solcherart entstandenen Einnahme-Einbussen wettzumachen, stellten die Kinobesitzer noch im Jahr 1909 an den polizeivorstand ein Gesuch um Bewilligung spezieller Kindervorstellungen an zwei Nachmittagen pro Woche – was abgelehnt wurde mit der Begründung, „ die Jugend sei auch ohne Besuch von Kinematographenvorstellungen genugsam den schädlichen Einflüssen der vielfach auf Sensationslust und Sinnenkitzel berechneten Schaustellung der Kinematographen-Industrie ausgesetzt.“

 

Aber auch Sportveranstalter rechneten mit der Sensationslust des zahlenden Publikums. Sensationslust des zahlenden Publikums. Sportanlässe wurde um die Jahrhundertwende zum beliebten vergnügen für Jung und Alt, wobei mehr das allgemeine Amüsement im Vordergrund stand als der professionell-verbissene Wettkampf. Um 1909 wurde in der Fussball-Hochburg Zürich jedenfalls noch sorgenlos auf holprigem Wiesland – auf der Allmend oder im Sihlhölzli – „getschuutet“. Als Tore genügten zwei Stangen, die von den Aktiven selbst eingesteckt und behelfsmässig mit einer Schnur überspannt wurden. Von Technik, Taktik, von Regeln oder gar von einem Schiedsrichter war damals kaum die Rede. Geknickt wurde in einer 5er oder 6er Mannschaft: Alle rannten sie gleich enthusiastisch hinter dem Ball her und versuchten, ihn aufs gegnerische Tor zuzutreiben.

 

Nach genau festgelegten Regeln ging es hingegen beim freischiessen der Schützen-Gesellschaft der Stadt Zürich am 20. Bis 27. Juni 1909 im Albisgütli zu. Der offizielle Schiessplan sah zehn verschiedene Schiessarten vor und wies „eine Reihe von Neuerungen auf, die samt und sonders nur im Interesse der Schützen“ lag. Spektakulärste Neuerung, die vom Schiessführer angezeigt wurde, war die Bestimmung, „dass in allen Schieben der berührte Kreis als getroffen gilt und als solcher auch gezeigt wird“. Das erhöhte die Chancen auf einen Anteil n der Gesamt-Preissumme von stolzen 100 000 Franken beträchtlich.

 

Das Springreiten als pferdesportliche Disziplin wurde kurz nach der Jahrhundertwende nach Zürich importiert; erste Versuche mit Reitkonkurrenzen über Hindernisse machten Angehörige des Rennvereins Zürich 1908 auf dem Allmend. Ein Jahr vorher – im schneereichen Winter 1906/07 – führte der 1901 von einem gebürtigen Brasilianer gegründete Skiclub Zürich erstmals einen Skikurs an den sanften (und noch unbebauten) Abhängen des Zürichbergs durch. Und im Oktober 1909 fand auf der Hardau-Rennbahn ein Prämien-Velorennen statt; „ und es machte aufsehen“, wusste der Tages-Anzeigerzu berichten, „weil dabei der Elsässer Rohner als Erster durchs Ziel ging.“ Wenige Tage zuvor war auf dem Hardau-Ring erstmals ein Tandem-Motorrad vorgeführt worden – eine offensichtlich sehr vorteilhafte Erfindung, da „der Chauffeur seinen Motor besser bedienen kann, da der Lenkung des Rades enthoben ist.“

 

Im Vergleich zu dieser futuristischen technologischen Entwicklung beim Motorradsport stand die Leichtathletik geradezu in den Kinderschuhen. Sicher: gelaufen, gesprungen und geworfen wurde allenthalben; aber eine wettkampfwürdige und entsprechen reglementierte Sache wurde die Leichtathletik erst, als sich ihrer der Fussballclub Zürich annahm – mit Sportfesten in der Herdern, bestehend aus einem anspruchslosen Programm von 100-, 400- und 800-Meter-Läufen, Hoch- und Weitsprung. Später kamen noch ½ Meile und 1 Meile dazu: wettkampfmässig als Schweizer Meisterschaften annonciert. Diese Leichtathletik-Veranstaltungen waren ungeahnt zugkräftig, so dass die FCZ-Organisatoren bald Konkurrenz bekamen durch den Kraftsportverein Zürich. Dieser erdreistete sich gar im Jahr 1909, sein Leichtathletik-Meeting als „1. Olympischen Spiele in Zürich“ zu proklamieren –  ein kühner Griff nach den Sternen, ein Traum aber auch, der selbst im realistisch-nüchternen Zürich des Olympia-Jahres 1984 noch nicht ausgeträumt.

Diese Schrift wurde zusammengestellt von Clemens Barmettler, Hansjürg Deutsch, Hanns Fuchs, Hans-Peter Treichler und Hansjürg Saager